Verein für
Naturwissenschaft
zu Braunschweig
1862 – 1944
(?)
 
    Vereinsgründung

Ab etwa 1860 traf sich in Braunschweig mehr oder weniger regelmäßig ein Kreis naturwissenschaftlich interessierter Personen. Die »Freunde der Naturwissenschaft«, wie man sich nannte, führten sich auf diesen Zusammenkünften beispielsweise botanische Funde vor oder sprachen über Exkursionen. Der Apotheker Friedrich Beckmann (1813-1872) soll dann 1862 bei einem dieser Zusammenkünfte die Idee eingebracht haben, einen naturwissenschaftlichen Verein zu gründen. Der Vorschlag fand breite Zustimmung und so begann Beckmann im Oktober des Jahres mit den entsprechenden Vorbereitungen.

Beckmann versandte Einladungen zu einer Gründungsversammlung an alle diejenigen, von denen er annahm, dass sie Interesse an einem solchen Verein haben könnten. Der Einladung folgten 38 Männer: Apotheker, Lehrer, Juristen, Kaufleute, zwei Studenten, ein Posteleve, ein Hauptmann und ein Universitätsgärtner; Professoren der Braunschweiger Hochschule beachteten, bis auf eine Ausnahme, die Einladung nicht.

Die Gründungsversammlung wurde am 20. November 1862 in der Gaststätte „Sächsischer Hof“[1] abgehalten. Im §1 der auf dieser Versammlung beschlossenen Satzung heißt es unter anderem:

 „Der Verein für Naturwissenschaft, welcher seinen Sitz in der Stadt Braunschweig hat, verfolgt den Zweck, das Interesse für alle Gebiete der Naturwissenschaft zu fördern. Dieser Zweck soll erreicht werden durch regelmäßige Sitzungen, in denen Vorträge gehalten, die Ergebnisse neuer Forschungen mitgetheilt und besprochen, sowie bemerkenswerthe Gegenstände zur Vorlage und Ausstellung gebracht werden, durch Veranstaltung von gemeinsamen Besichtigungen und Ausflügen, ...”

    Vereinsleben

Ein Kernpunkt der beschlossenen Vereinsaktivitäten waren Vereinssitzungen mit Vorträgen. Es beteiligten sich jedoch nur wenige Personen an dem Vortragsgeschehen. Besonders der Hochschulprofessor für Forstwesen, Theodor Hartig (1805-1880)[2], stand immer wieder mit Vorträgen im Mittelpunkt der Vereinsversammlungen. Um dieser Dominanz zu begegnen, traf man 1864 die Regelung, dass jedes Mitglied (in alphabetischer Rangfolge) pro Sitzungsperiode einen Vortrag von 10 Minuten Dauer halten sollte. Die Vereinbarung erwies sich jedoch als wenig tragfähig. Viele der Referenten entzogen sich ihrer Vortragsverpflichtung, indem sie kurzfristig ihr Erscheinen absagten oder der Versammlung einfach unentschuldigt fern blieben.

 Nachdem sich einige das Vereinsgeschehen tragende Gründungsmitglieder aus Altersgründen von ihren Vorstandsaktivitäten zurückgezogen hatten und Hartig es offenbar nicht verstand, das Vereinsgeschehen weiter zu entwickeln, ließ das Interesse an dem Verein nach. Die Mitgliederzahl sank auf zeitweilig unter 30. Kritiker warfen Hartig später vor, er sei als Vereinsvorsitzender zu sehr auf seine Position bedacht gewesen und habe sich nicht für die Pflege der exakten Naturwissenschaften eingesetzt.

Anfang der 1870er Jahre drängte schließlich eine neue Generation in die Führungspositionen des Vereins. Mit ihr kam deutlich Bewegung in das Vereinsgeschehen. Die „jungen“ Kräfte verfolgten das Ziel „alle Zweige der Naturwissenschaft gleichmäßig zu pflegen, das wissenschaftliche Leben intensiver zu gestalten und den Verein zum Sammelplatz aller braunschweigischen Naturkundigen zu machen“. Sie warben erfolgreich in Hochschulkreisen um Mitglieder. Bald darauf traten beispielsweise die Mitglieder des Chemischen Vereins geschlossen dem Verein für Naturwissenschaft bei. Auch renommierte Wissenschaftler konnten für den Verein gewonnen werden. Zur Sitzungsperiode 1876/77 war die Mitgliederzahl bereits auf 92 gestiegen. Die Vereinsaktivitäten erfuhren ebenfalls einen deutlichen Auftrieb. Statt der bisher üblichen zehn bis 11 Sitzungstermine wurden 16 abgehalten. Man installierte vier Sektionen: Physik und Chemie, Mineralogie und Geologie, Zoologie und Botanik, Physiologie und Hygiene. In diesen Sektionen sollten die Vorträge gehalten werden, die wegen ihres fachwissenschaftlichen Gehaltes bei den Hauptversammlungen kein allgemeines Interesse finden würden.

 Die Sektionenbildung bewährte sich offenbar, denn 1897 kamen noch Geographie/Ethnologie/Anthropologie, Mathematik/Astronomie und die Unterabteilungen Meteorologie, Akklimatisation und Entomologie hinzu. Der Aufschwung des Vereins setzte sich stetig fort. 1890/91 überschritt die Mitgliederzahl die 200, 1897/98 die 300. Mit 345 hatte man 1902/03 den absoluten Höchststand - es scheint, als sei es für alle naturwissenschaftlich Interessierten im Herzogtum Braunschweig eine Ehrenpflicht geworden zu sein, dem naturwissenschaftlichen Verein anzugehören.

 Es folgte die Zeit des ersten Weltkrieges. Sie brachte auch für den Braunschweiger naturwissenschaftlichen Verein tiefe Einschnitte. Die Mitgliederzahl ging deutlich zurück. Trotz einer wirtschaftlich und politisch unruhigen Nachkriegszeit gelang es den Vereinsverantwortlichen aber, die Arbeit allmählich wieder zu beleben. 1929 hatte man wieder weit über 200 Mitglieder und in den Vereinsversammlungen behandelte man anspruchsvolle wissenschaftliche Themen.

    Ehrenmitgliedschaft

Anlässlich der Hundertjahrfeier zum Geburtstag von Carl Friedrich Gauß (1777-1855)[3] gab der Verein 1877 einen »Umriss seines Lebens und Werkes« heraus. Das 34 Seiten umfassende Heft wurde den Schülern der höheren Lehranstalten kostengünstig zur Verfügung gestellt. Der Verfasser der Gauß-Biografie war der Schüler des großen Universalgelehrten, August Winnecke (1835-1897). Er verzichtete für seine Arbeit auf ein Honorar. Das nun wiederum nahm der Verein zum Anlass, die Ernennung von Ehrenmitgliedern in die Vereinsstatuten mit aufzunehmen. Man setzte die maximale Zahl auf 20 fest und schloss, um Streitigkeiten und mögliche Ungerechtigkeiten zu vermeiden, Braunschweiger von der Möglichkeit aus, zum Ehrenmitglied ernannt zu werden. Nachfolgend führte der Verein beispielsweise Dmitrij Medelejew (1834-1907), Robert Bunsen (1811-1899), Oskar Drude (1852-1933) und Marie Curie (1867-1934) als Ehrenmitglieder. Als Bestätigung der Ehrenmitgliedschaft erhielten die Ernannten eine reich verzierte Urkunde.

 Wegen der aus dem Kreis der aktiven Mitglieder herausragenden Bedeutung der beiden Wolfenbütteler Physiker Julius Elster (1854-1920) und Hans Geitel (1855-1923), sowohl für das Herzogtum Braunschweig als Wissenschaftsregion, als auch für das internationale Ansehen des Braunschweiger Vereins für Naturwissenschaft, durchbrach man 1915 den Einschränkungsbeschluss für Braunschweiger Persönlichkeiten und ernannte auch Elster und Geitel zu Ehrenmitgliedern.

                                               
    Vereinsmitteilungen

In den ersten beiden Vereinsjahren wurden noch keinerlei Aufzeichnungen über Sitzungen und andere Vereinsaktivitäten geführt. Dann fing man an, die Titel von Vorträgen zu verzeichnen und 1870 finden sich erstmals Vortragszusammenfassungen im Braunschweiger Tageblatt veröffentlicht. Beschränkte man sich anfänglich noch auf das Kürzel der Referentennamen, so sind schon wenig später die vollen Namen aufgeführt und auch die Widergabe der Vorträge fällt umfangreicher aus. In allen Braunschweiger Presseorganen erfolgten schließlich regelmäßig die Ankündigungen von Vortragsveranstaltungen und Berichte über die Versammlungen.

 Auf der ersten Sitzung des Vereinsjahres 1874/75 fasste man den Beschluss, eigene Jahresberichte herauszugeben. Wie sich schnell zeigte, war es besonders mit Blick auf die Finanzierung ein ehrgeiziges Projekt. Erst im Sommer 1880 erschien der 1. Jahresbericht des Vereins für Naturwissenschaft. Er behandelte die Sitzungsperiode 1879/80. Die Herausgabe der weiteren Jahresberichte erfolgte nicht in chronologischer Abfolge. Beispielsweise erschien der 12. Jahresbericht, die Sitzungsperioden 1899/1901 behandelnd, im Jahre 1902; der 9. Jahresbericht, für die Zeit 1893/95, erst im Jahr 1903. Daraus wird ersichtlich, dass es immer wieder Probleme mit der Finanzierung gab. Entscheidend waren Druckkostenzuschüsse, die nicht selten von Mitgliedern selbst kamen, die von ihnen verfasste Abhandlungen veröffentlicht sehen wollten.

 In die Jahresberichte mit aufgenommene Abhandlungen, darunter wissenschaftlich bedeutsame, hoben den Wert der Vereinsschrift und sorgten für eine Verbreitung, weit über das Braunschweiger Land hinaus. Die Jahresberichte verteilten sich bis nach Amerika, Asien und Australien.

                                               

    Vereinsbibliothek

Mit den Jahresberichten trat man mit anderen naturwissenschaftlichen Vereinen und Gesellschaften in den Austausch. Dies, diverse Schenkungen, Beschaffungen aus dem Vereinsetat usw., sorgten für ein beachtliches Anwachsen des vereinseigenen Literaturbestandes. Wurden die Schriften zunächst noch bei Vereinsmitgliedern verwahrt, sah man sich schließlich genötigt, über eine andere Verwahrung des Literaturbestandes nachzudenken. 1880 stellte der Vorstand beim Staatsministerium den Antrag, den wertvollen Bestand der Hochschulbibliothek als Dauerleihgabe zu überlassen. Im Gegenzug wollte man dafür eine jährliche Zuwendung von 300 Mark erhalten. Dieser Antrag wurde abschlägig beschieden und so blieb es vorerst bei der „Privatlösung“.

 Einige Jahre später machten Vereinsmitglieder den Vorschlag, den Buchbestand vorbehaltlos als Schenkung an die Hochschulbibliothek zu geben. Die Entscheidung traf jedoch auf heftigen Widerstand und wurde nicht umgesetzt. Schließlich brachten 1888 Kontakte von Vereinsmitgliedern zum Staatsministerium eine Lösung des Problems. Wie man es schon einmal vorgesehen war, wurde der Buchbestand der Bibliothek der Braunschweiger Hochschule übergeben. Das Staatsministerium sicherte zu, dem Verein dafür jährlich einen Zuschuss von 300 Mark zu gewähren.[4]

    Das Ende

Für das Vereinsjahr 1932/33 wurde Paul Tachau (1887- ? )[5], ein angesehener jüdischer Arzt, mit großer Mehrheit zum Vereinsvorsitzenden gewählt. Bereits wenige Monate später betrieben Anhänger des Nationalsozialismus seine Amtsaufgabe. Alle Vereinsmitglieder jüdischen Glaubens mussten den Verein verlassen. Im Jahr 1935 erschienen von dem Verein für Naturwissenschaft, unter Vorsitz von Prof. Dr. Bernhard Herwig, die letzten Jahresberichte.

 1940- 43 wird der Verein noch als Mitherausgeber des »Braunschweigischen Jahrbuches«[6]  genannt. Danach gibt es keine öffentliche Erwähnung des Vereins mehr. Da es kein Protokoll über eine Auflösung des Vereins gibt, ist zu vermuten, dass in den Wirren des letzten Kriegsjahres und der schwierigen Zeit unmittelbar danach es einfach an Personen mangelte, die sich für den Fortbestand des Vereins einsetzten und versucht hätten, das Vereinsleben zu reaktivieren.

                                               

 Liebe Leserin, lieber Leser dieser Kurzdarstellung über den Braunschweiger Verein für Naturwissenschaft,

 haben Sie weiter gehende Kenntnisse über den Verein?

 wissen Sie etwas über Vereinsmitglieder? …, dann schreiben Sie bitte an: Rudolf Fricke

Ich suche nach den Jahresberichten Nr. 18 (1913/1923), Nr. 23 (1932/35) und nach anderen Publikationen, die von dem Verein herausgegeben wurden.

Biete 12. Jahresbericht (1899/1901) zum Tausch oder Kauf.