Albert Schelz (1875-1949)
„Ich bin ein freudiger Bekenner des demokratischen Staatsgebildes“        
                                     
Er war Stadtverordneter, Bürgermeister, Kreisdirektor, Landtagsabgeordneter und Minister in der braunschweigischen Landesregierung. Die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts gehörte zu seinen essentiellen politischen Zielen. Vom Arbeiterstand erwartete er, durch Selbstdisziplin und Schulung Stütze eines demokratischen Staates zu sein. Mit seinem Wirken und seiner persönlichen Ausstrahlung hat er das Erscheinungsbild der braunschweigischen Sozialdemokratie im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts mitgeprägt.        
                                     
von  Rudolf G. A. Fricke
                                               

Herkunft und Familie

Georg Wilhelm Traugott Albert Schelz wurde am 14. Februar 1875 als Zweites von drei Kindern dem Gefängnisaufseher Albert Traugott Schelz (1842-1906) und dessen Ehefrau Johanne geb. Kruse (1848-1907) in Hannover geboren. Schelz befand sich noch im Säuglingsalter, als der Vater als „Gefangenen-Aufseher“ an die Strafanstalt von Wolfenbüttel versetzt wurde. Die Familie bezog hier eine Dienstwohnung im Hause Ziegenmarkt 11, in unmittelbarer Nähe zur Strafanstalt.

Nach dem Besuch der Bürgerschule absolvierte Albert Schelz beim Heckners Verlag eine Schriftsetzerlehre. 1896 begab er sich auf Wanderschaft. Sie führte ihn nach Leipzig, durch Süddeutschland, nach Salzburg und Meran. Vom 12. Mai 1898 bis 18. Mai 1901 arbeitete er wieder als Schriftsetzergehilfe beim Heckners Verlag in Wolfenbüttel.[1] Danach übte er den Beruf einige Jahre in Berlin aus. 1907 kehrte Schelz schließlich nach Wolfenbüttel zurück.

Er hatte es in all den Jahren nicht leicht gehabt, aber nicht wegen seiner sozialen Herkunft. Grund war ein hässliches Hämangiom (Blutschwamm), das die linke Kinn- und Wangenseite seines Gesichtes bedeckte. Das hatte ihn immer wieder zum Opfer von Hänseleien und Ausgrenzungen gemacht. Schelz lernte daraus aber mit Widerständen und Anfeindungen umzugehen, ohne in Resignation oder Hass zu verfallen. Er reifte zu einer Persönlichkeit mit festen Grundsätzen, Durchsetzungsvermögen und einer bemerkenswerten Fähigkeit, widerstreitende Ansichten auf Kompromisslinien zusammen zu führen.

Am 8. März 1920, bereits im 45. Lebensjahr befindlich, verheiratete sich Albert Schelz in Braunschweig mit Auguste Kürschner (1892- ?? ). Als Trauzeugen fungierte der mit ihm befreundete Jurist Dr. Heinrich Jasper[2] und der Buchdrucker Gustav Steinbrecher[3]. Beide gehörten zu den führenden Persönlichkeiten der Braunschweiger Sozialdemokraten.

Die Verbindung zu seiner „lieben Frau“ muss für Schelz große Bedeutung gehabt haben. Er lässt in Aufzeichnungen immer wieder durchblicken, dass sie viel Verständnis für sein politisches Engagement aufbrachte und sie ihm in schweren Zeiten haltgebend zur Seite gestanden sei.

Von den beiden Söhnen, die 1921 und 1922 in Schöningen geboren wurden, lebte der erste nur wenige Tage; der zweitgeborene schlug später eine juristische Berufslaufbahn ein.

                                               

In der Wolfenbütteler SPD

Am 5. Oktober 1907 trat Albert Schelz in die SPD ein. Bereits wenige Wochen später übernahm er in der Wolfenbütteler Ortsgruppe die Berichterstattung für den »Volksfreund«[4]. Schon ein halbes Jahr nach seinem Eintritt in die SPD wählte man ihn zum Vorsitzenden der Wolfenbütteler Ortsgruppe.

Es war eine heikle Aufgabe, die er übernahm. Die Genossen waren heillos untereinander zerstritten. In Flügelkämpfen ging man bis zu Verleumdungen der übelsten Art und in staatsstreichähnlichen Aktionen erfolgten Wechsel in den Parteiämtern. Dabei herrschten in Wolfenbüttel Gegebenheiten, die eigentlich einen Zusammenhalt erforderte. Beispielsweise lähmten wilde Lohnstreiks die Wirtschaft, Massenentlassungen stürzten Familien in soziales Elend. Die bürgerlichen Kreise verweigerten der sogenannten einfachen Bevölkerung jede Mitsprache und Beteiligung an Entscheidungsprozessen. „Anstatt zu erkennen, daß ... energische Parteiführung den größtmöglichen Erfolg versprach, verlor man sich hier in Kleinigkeiten und persönlichen Zwistigkeiten“, kommentierte ein Zeitzeuge das Erscheinungsbild der Sozialdemokraten in seinen Lebenserinnerungen.[5]

Schelz gelang es in beachtenswertem Umfang die Lager der Wolfenbütteler SPD Ortsgruppe zusammenzuführen und die politische Arbeit der Mitglieder auf gemeinsame Ziele zur konzentrierten. Ein besonderes Augenmerk legte er in den Aufbau einer Jugendorganisation. So blieb es nicht aus, dass man über die Stadtgrenzen Wolfenbüttels hinaus auf den neuen Mann an der SPD Spitze aufmerksam wurde. Im August 1909 wählte man ihn auf einer Versammlung in Schöningen zum SPD Kreisvorsitzenden.

Das neue Selbstbewusstsein der Wolfenbütteler Sozialdemokraten schlug sich in akzentuiert und werbewirksam in die Öffentlichkeit getragenen politischen Vorstellungen und Forderungen nieder. Erstmals in Wolfenbüttels Geschichte wurden die bürgerlichen Kreise zu Stellungnahmen, zu konkreten Aussagen zu kommunalpolitischen Themen gezwungen. Das Bürgertum war verunsichert und prompt wurde Albert Schelz am 7. September 1909 in die Stadtverordneten-Versammlung gewählt.

Das Ereignis war seinerzeit in zweifacher Hinsicht eine Sensation: Einmal war Schelz damit der erste Sozialdemokrat überhaupt, der in das Wolfenbütteler Stadtparlament einzog. Zum Anderen war es durch das Wahlrecht und die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse in Wolfenbüttel eigentlich undenkbar gewesen, dass ein Kandidat aus dem nichtbürgerlichen Lager gewählt würde.

                                               

Abgeordneter im Stadtparlament

Nach der braunschweigischen Städteordnung wurden Städte durch einen Magistrat und die Stadtverordneten-Versammlung „in Bezug auf ihre Rechte und Pflichten“ vertreten.[6] Dem Wolfenbütteler Stadtmagistrat gehörten zwei von der Stadtverordneten-Versammlung auf sechs Jahre gewählte Personen und ein vom Herzog ernannter, beamteter Bürgermeister an. Über die Zusammensetzung der 18-köpfigen Stadtverordneten-Versammlung entschied die Bevölkerung alle zwei Jahre in geheimen Wahlen.

Das Kommunalwahlrecht war ein nach dem Steueraufkommen gestaffeltes Drei-Klassen-Wahlrecht. Jede Steuerklasse stellte die gleiche Anzahl Abgeordnete. Die im Verhältnis wenigen Bürger der höchsten Steuerklasse hatten also genauso viel Einfluss im Stadtparlament, wie die Abgeordneten der niedrigsten Steuerklasse, die die größte Bevölkerungszahl repräsentierten.

Anders als zu Reichstagswahlen, wo jeder über 25jährige Deutsche wahlberechtigt war, konnte zur Stadtverordnetenwahl nur derjenige männliche Einwohner seine Stimme abgeben, der sich Bürger der Stadt nennen durfte. Das Bürgerrecht zu besitzen, war wiederum abhängig von einem bestimmten Mindesteinkommen und es musste durch Zahlung von 6 Mark zuzüglich einer Stempelgebühr erworben werden. Der sich daraus ergebende Gesamtbetrag entsprach in etwa dem halben Wochenlohn eines Arbeiters. Da Frauen grundsätzlich kein Stimmrecht hatten, bestimmten somit von der gesamten Einwohnerschaft Wolfenbüttels letztendlich nur sechs bis sieben Prozent die kommunalen Vertreter.

Kaufleute, höhere Beamte, Lehrer, Handwerksmeister, Rechtsanwälte und Fabrikanten bestimmten die Geschicke der Stadt. Seit 1902 stellten die Sozialdemokraten zwar regelmäßig Kandidaten, diese hatten aber durch das Wahlrecht kaum eine Chance. Zudem verständigten sich die Bürgerlichen vor den Wahlen über ihre Kandidaten.

Nun zu den Ereignissen im Jahr 1909. Bei der 3. Wählerklasse war eine Nachwahl zur Stadtverordneten-Versammlung erforderlich geworden. Von den Sozialdemokraten wurde Albert Schelz „in das Rennen“ geschickt; die bürgerlichen Kreise stellten fünf Kandidaten auf. Bei der Wahl entfielen auf:

        Schriftsetzer Schelz                  152 Stimmen
        Gerichtsobersekretär Küke       145 Stimmen
        Schlossermeister Kiehne            87 Stimmen
        Uhrmacher Beddig                     68 Stimmen
        Kaufmann Rackebrandt               9 Stimmen
        Mühlenbesitzer Wrede                 2 Stimmen

Das Stimmenergebnis für Schelz war das Ergebnis einer Zerstrittenheit unter den Bürgerlichen. Diese Zerstrittenheit setzte sich in der nachfolgenden Stichwahl fort. Am 7. Oktober, dem Tag der Stichwahl, blieben rund dreißig Wahlberechtigte zu Hause, von den anderen müssen sich einige sozusagen als Protestwähler betätigt haben: Schelz erhielt 254 Stimmen, sein Gegenkandidat Küke 172.

Engagiert, konsequent, geradlinig, setzte sich Albert Schelz im Stadtparlament für Interessen der einfachen Bevölkerung ein. Er wirkte im Stadtbauamt, entwickelte Initiativen für die hilfsbedürftigen Bürgerinnen und Bürger Wolfenbüttels. Schelz erwarb innerhalb kurzer Zeit für sich und die Wolfenbütteler Sozialdemokratie Ansehen. Dennoch wurde er bei der turnusmäßigen Stadtverordnetenwahl, im März 1908, nicht wieder gewählt. Die Bürgerlichen hatten aus der Wahlschlappe gelernt. Man verständigte sich im Vorfeld wieder auf das Wahlverhalten und verhalf den Kandidaten aus den eigenen Reihen zum Erfolg.

Erst zwei Jahre später, bei der Stadtverordnetenwahl am 26. Januar 1912, konnten die Sozialdemokraten wieder in das Stadtparlament einziehen. Diesmal brachte man mit Albert Schelz und dem Kernmacher/Weißgerber Paul Scheerle gleich zwei Kandidaten durch.

Der alsbald tobende Erste Weltkrieg, in dem auch Albert Schelz als Soldat verpflichtet war, unterbrach die politischen Aktivitäten des Wolfenbütteler Schriftsetzers – nicht in Gänze. Als im Februar 1918 in Braunschweig, im Beisein des Herzogenpaares, ein Säuglingsheim eröffnet wurde[7], erhielt er Fronturlaub um die Eröffnungsrede halten zu können. Rhetorisch geschickt in patriotisch klingende Sätze gepackt, wies er auf die wahren Hintergründe für das Entstehen des Kinderheimes hin: „Mitten im Toben des Weltkrieges ist uns hier ein Werk entstanden, das uns zunächst wie ein Stück tiefen Friedens anmuten will, ein Säuglingsheim. Und doch, wenn wir auf Zweck und Sinn dieser Schöpfung näher eingehen, so hängt es, wie alles, was wir tun und denken können, ja sogar in besonders hohem Maße mit den Geschehnissen auf dem Kriegstheater in ganz engem Zusammenhang.
Noch immer fließt draußen das Blut von Deutschlands besten Söhnen und noch immer zehrt der Schlachtentod am Marke deutscher Volkskraft, also an dem Notwendigsten und Wertvollsten was wir besitzen.
Da ist es eine unabweisbare … Pflicht …, Sorge zu tragen, daß diese Volkskraft , soweit irgend tauglich, ersetzt und gemehrt wird.“
[8]

Gut ein halbes Jahr später endete der Weltkrieg mit der Kapitulation Deutschlands. Die Sozialdemokraten hatten sich schon geraume Zeit vorher im Streit um die politische Zukunft Deutschlands in zwei Lager gespalten.

         
  Erste Seite des SPD Mitgliedbuches von Albert Schelz. Daraus geht sein Eintrittsdatum 5. Oktober 1907 hervor.   Albert Schelz als Soldat im ersten Weltkrieg, ca. 1917   Heiratsurkunde von Albert Schelz und Auguste Kürschner, mit den Unterschriften der Trauzeugen Dr. Heinrich Jasper und Gustav Steinbrecher.   Erste Seite aus den tagebuchähnlichen Aufzeichnungen, die Albert Schelz während seiner Amtszeit als Bürgermeister von Schöningen führte.  
                                               

Gespaltene Sozialdemokraten

Im alten Herzogtum Braunschweig übernahmen Arbeiter- und Soldatenräte die Regierung. Albert Schelz engagierte sich im Wolfenbütteler Arbeiter- und Soldatenrat. Hier gehörte er zu den Personen, die mit Besonnenheit die politische Neustrukturierung in der Stadt verfolgten. Ab dem 22. Dezember 1918 gehörte er auch als Volksbeauftragter dem braunschweigischen Landesparlament an. Schelz, der wie seine Freunde Dr. Jasper und Steinbrecher für die Politik der Mehrheitssozialdemokraten eintrat, übernahm Regierungsämter: Am 22. Februar 1919 wurde er in den Rat der Volksbeauftragten gewählt; von April des Jahres, bis in das Jahr 1924 hinein, hatte er das Amt des Ministers für Volksbildung inne.

Die ersten Nachkriegsjahre waren politisch ausgesprochen unruhige Jahre in Braunschweig. Die Angehörigen der USPD, die hier die Mehrheit hatte, schwankten zwischen der Einrichtung einer Räterepublik und demokratischen Staatsstrukturen hin und her. In kurzen Abständen wechselte die Besetzung der Landesregierung.

                                               

Bürgermeister von Schöningen

1919 trat Albert Schelz in Schöningen als Kandidat der MSPD bei den Wahlen zum Bürgermeister an. Er war diesen Schritt nur sehr widerwillig und nach Druck aus den Reihen seiner Parteifreunde gegangen. Man hatte mit seiner Kandidatur die Wahl des als revolutionärem Querkopf gefürchteten Sepp Oerter[9] von der USPD verhindern wollen.

In seinen Tagebuchaufzeichnungen schrieb Albert Schelz dazu: „Meine Kandidatur war eigenartig zustande gekommen; ich hatte mich stark dagegen gewehrt. Die Uebernahme erfolgte aus Pflichtgefühl gegenüber der Partei. Die Genossen in Schöningen hatten vergessen, einen eigenen Kandidaten aufzustellen und sich zu diesem Zwecke an unsere Landtagsfraktion gewandt ...“[10]

Schelz bildete zusammen mit dem Schöninger Oberamtsrichter Robert Lindemann die Liste Schelz-Lindemann, die sein Gegenkandidat Oerter in einer Zeitungsannonce als „Liste der kapitalistischen Ausbeuter“ bezeichnete. „Wer nicht will, dass die kapitalistischen Ausbeuter und ihre Zuhälter, die Rechtssozialisten, das Volk erneut in das ungeheure Elend eines neuen Weltkrieges stürzen, der wähle als Bürgermeister Sepp Oerter“.[11]

Schelz warb für sich mit den Worten: „Wollt ihr Ruhe und Ordnung, vernünftige Kommunalpolitik, ... dass unsere Industriestadt Schöningen nicht nach Oerterschen Plänen russischen Zuständen zugeführt wird und dann verödet, weil die arbeitbietende Industrie‚ Schöningen den Rücken kehrt und so der Arbeiter, der Gewerbetreibende, der Kaufmann brotlos wird?“[12] Oerter hingegen trete dafür ein, warnte Schelz, „dass eure Betriebe, eure Häuser, euer Grundbesitz, sogar eure Möbel ohne Entschädigung enteignet werden. Die Ersparnisse sollen euch genommen werden.“[13]

Bei der Wahl dann, erhielt Albert Schelz 2.292 Stimmen, Sepp Oerter 1.947 Stimmen. Am 7. Oktober teilte der Schöninger Stadtverordnetenvorsteher Bernhard Pfeiffer das Ergebnis „Herrn Bürgermeister Schelz, Wolfenbüttel“ mit: „Bei der am 28. v.M. vorgenommenen Wahl der Mitglieder des Rats der Stadt Schöningen sind Sie mit absoluter Mehrheit zum besoldeten Vorsteher des Rats (Bürgermeister) gewählt worden, wovon ich Sie mit dem Bemerken ergebenst in Kenntnis setze, dass Einsprache gegen die Wahl nicht erhoben ist.“[14]

Albert Schelz sah sich in seinem Bürgermeisteramt zahlreichen Anfeindungen und Verunglimpfungen ausgesetzt, die aus den Reihen der enttäuschten USPD und KPD Mitglieder kamen. In einer Volksabstimmung versuchte man ihn als Bürgermeister am 18. April 1920 los zu werden. Von den Initiatoren des Volksbegehrens geschickt formuliert, mussten die Schöninger mit „Nein“ stimmen, waren sie für den Verbleib von Schelz im Bürgermeisteramt.

Mit einer ausgesprochen knappen Mehrheit schlug der Vorstoß der radikal Linken fehl. Aber die Ereignisse hatten an den Nerven von Schelz gezehrt. Am 19. Mai 1920 notiert er resignierend klingend: „... ich habe die Folgen dieser Wahlkampagne gezogen und mich anderwärz um Stellung bemüht. Hoffentlich kann ich den Staub Schöningen bald von den Pantoffeln schütteln.“[10]

Schelz blieb im Amt. Als dann jedoch im Oktober 1925 seine Amtszeit auslief, wurde er nicht wiedergewählt. Die Mehrheitsverhältnisse in der Schöninger Stadtversammlung hatten sich im Februar 1925 bei der Kommunalwahl zu Ungunsten der Sozialdemokraten verändert: KPD 1 Sitz, Bürgerblock 8 Sitze, SPD 6 Sitze.

Später urteilte Schelz über seine Amtszeit als Bürgermeister: „Ich weiß, daß ich mich bemüht habe, nach besten Kräften objektiv zu sein, und daß ich weiter bemüht war, alle willigen Kräfte zu gemeinsamer Mitarbeit heranzuziehen. Nur so kann ein Gemeinwesen gedeihen und vorwärts kommen.“[15] Max Hintze, von 1920 bis 1944 evangelischer Pfarrer in Schöningen, urteilte über Albert Schelz: „Der Bürgermeister Schelz war … sehr klug und hatte auch für schwierige Dinge schnell einen klaren Blick. Er hatte auch bei den Bürgern Sympathien bis in die Kreise der Deutschnationalen hinein. Er hatte es jedoch sehr schwer.“[16]

                   
          Delegierte des Bezirksparteitages der SPD im Herbst 1931.
Auf dem Foto (1) Dr. Heinrich Jasper, (2) Gustav Steinbrecher, (3) Albert Schelz.
         
                                               

Kreisdirektor in Holzminden

Auf Betreiben von Heinrich Jasper wurde Albert Schelz im Mai 1928 zum Kreisdirektor von Holzminden ernannt. Es hatte zunächst seitens der konservativen Bürgerschaft Vorbehalte gegen den Sozialdemokraten gegeben. Nachdem man jedoch erkannte, dass er Verwaltungsgeschick besaß und er auch persönlich zu überzeugen vermochte, amtierte Schelz mit breiter Unterstützung des Kreistages.

Als besonderes Verdienst seiner Amtszeit wird ihm der Bau der „Wesertalbahn“ zwischen Holzminden und Hameln angerechnet. Zur Durchsetzung des Projektes hatte sich Schelz selbst vor einem Konflikt mit dem braunschweigischen Staatministerium nicht gescheut. Als man sich dort nämlich gegen eine finanzielle Unterstützung des Projektes aussprach, formulierte der Holzmindener Kreistag eine Entschließung, die den Verbleib im Freistaat in Frage stellte. Die Landesregierung machte nun wiederum Schelz zum Vorwurf, sich nicht um die Verhinderung dieses Beschlusses bemüht zu haben.

                                               

Verfolgung und Neubeginn

Im Dezember 1930 wurde Schelz von der in Braunschweig bereits sehr früh etablierten nationalsozialistischen Regierung seines Amtes enthoben. Zum 1. Februar 1931 erfolgte die förmliche Versetzung in den Ruhestand. Unbeirrt aber, führte er bei Wahlen die Liste der SPD-Kandidaten an.

Im Zuge der Zerschlagung der SPD wurde Schelz im März 1933 in sogenannte Schutzhaft genommen. Er durchlitt Folterungen. Im Oktober des gleichen Jahres entzog man ihm mit Hilfe eines „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ das Ruhegehalt, später auch den Anspruch auf Rente. Selbst ein regulierender Einspruch des Reichsinnenministers wurde von dem damals zuständigen braunchweigischen Justizminister Alpers[17] abgewiesen.

Mit Gelegenheitsarbeiten versuchte Schelz, zumindest die Grundbedürfnisse seiner Familie zu sichern. Ständig sah er sich Bespitzelungen, Verfolgungen und Verhaftungen ausgesetzt. Er blieb trotz aller Bedrängnis und Demütigungen standhaft.

 

Nach Kriegsende wurde Schelz von den Alliierten am 30. April 1945 zum kommissarischen Landrat für den Landkreis Holzminden bestellt. Bis zur Neuwahl, am 28. Februar 1946, war er so nochmals in der Verwaltung des Landkreises Holzminden tätig und konnte Weichenstellungen vornehmen. Ab dem 1. März 1947 erhielt er wieder ein offizielles Ruhegehalt.

Er beteiligte sich auch an der Reorganisation der SPD, deren Mitglied er offiziell wieder ab dem 1. Oktober 1945 war.

Im Alter von 74 Jahren ist Albert Schelz am 22. April 1949 in Holzminden gestorben. Mit ihm ging ein aufrechter Demokrat. Wo es ihm geboten schien, war er auf Vertreter anderer politischer Ansichten zugegangen und hatte mit ihnen um Kompromissentscheidungen gerungen. Das kompromissbereite Handeln trug ihm zwar verschiedentlich die Kritik von Parteifreunden ein, machte ihn andererseits aber zu einer Person des Ausgleiches zwischen den politischen Lagern und eröffnete ihm, ungeachtet politischer Mehrheitsverhältnisse, Einfluss auf die Entwicklungen in seiner Zeit. Wegen seiner Geradlinigkeit genoss er selbst in Kreisen der politischen Gegner Anerkennung und Wertschätzung.

 

Anmerkungen

1     Der Verleger Heinrich Wessel (1868-1939) bescheinigte Albert Schelz in einem Zeugnis: „Derselbe ist seiner Pflicht stets gewissenhaft nachgekommen und sowohl als tüchtiger Accidenz- wie Werksetzer allen Kollegen aufs beste zu empfehlen.“

2     Dr. jur. Heinrich Jasper (1875-1945) war 1919/20, 1922-24 und 1927-30 Ministerpräsident des Freistaates Braunschweig.

3     Gustav Steinbrecher (1876-1940) zog 1910 als Gewerkschaftssekretär nach Braunschweig. 1917 setzte er sich für die Abspaltung vom radikalen linken Flügel der SPD ein. 1918 wurde er Mitglied des Braunschweiger Landtages. Von 1919 bis 1924 fungierte er in der Landesregierung als Minister für Arbeit. Von 1927 bis 1930 war er Innenminister.

4     Der Braunschweiger Volksfreund war (Erstausgabe 15. Mai 1871) eine der ältesten sozialdemokratischen Zeitungen Deutschlands. Sie richtete sich an Leser im Gebiet des Braunschweiger Landes.

5     Otto Rüdiger: Aufzeichnungen zur Geschichte der Wolfenbütteler Sozialdemokratie 1898-1945.

6     Städteordnung für das Herzogtum Braunschweig vom 18.6.1892.

7     Am 18. Februar 1918 erfolgte an der Ludwigstraße, im Norden Braunschweigs, die Einweihung des Victoria-Luise-Hauses als Landes-, Mütter- und Säuglingsheim.

8     Rede des Stadtverordnetenvorstehers zu Wolfenbüttel Albert Schelz während seines kurzen "Fronturlaubs".

9     Josef Oerter (1870-1928), gelernter Buchdrucker mit anarchistischer Vergangenheit, zog 1916 als Redakteur für den »Volksfreund« nach Braunschweig. Bei der Spaltung der SPD (1917) wurde er zu einem der führenden Köpfe in der linksradikal ausgerichteten USPD. Bis April 1919 hatte er in der Braunschweiger Landesregierung das Amt des Volkskommissars für Volksbildung und Finanzen inne. Von Juni 1920 bis November 1921 war er Ministerpräsident des Landes Braunschweig. 1924 trat er in die NSDAP ein.

10   Schelz: Bürgermeister-Aufzeichnungen.

11   Schöninger Anzeiger, 27.9.1919.

12   Schöninger Anzeiger, 23.9.1919.

13   Schöninger Anzeiger, 25.9.1919.

14   Nachlass Schelz.

15   Brief an die Redaktion des „Schöninger Anzeiger“ anlässlich der 600-Jahr-Feier Schöningens, 1933.

16   Kuessner.

17   Friedrich Alpers (1901-1944), Rechtsanwalt in Braunschweig, trat 1929 in die NSDAP ein. Er „profilierte“ sich als fanatischer  Nationalsozialist. Wegen einiger Exesse kamen Beschwerden über sein Auftreten sogar aus den eigenen Reihen. Am 8. Mai 1933 wurde er zum Staatsminister für Justiz ernannt.